Konsens und Konsent

Viele Leute stoßen wenn sie über Soziokratie lesen auf komische Wörter wie Treiber, Equivalenz und Konsent. Ah, Konsent, das hat man schonmal gehört, ja, oder meinen die Konsens?

Nein, Konsent ist in Theorie und Praxis sehr verschieden von Konsens und eine zentrale Grundlage von Soziokratie. Auch in meinen Workshops zu Soziokratie 3.0 ist Konsent ein grundlegender Bestandteil.
Hier ist der Unterschied in Kürze:

Konsens: Die Entscheidung ist getroffen, wenn alle dafür sind.
Konsent: Die Entscheidung wird getroffen, wenn nichts mehr dagegen spricht.

Klingt immer noch Ähnlich? Wenn wir genauer hinschauen, dann sehen wir, dass dieser kleine Unterschied im Ansatz einen großen Unterschied in der Praxis macht.

Ewiges Konsensieren

Konsens hat nichts mit Soziokratie zu tun, ist aber, wenn es richtig praktiziert wird, sehr ähnlich zum Konsent (siehe unten).
Ich habe Jahrelang in allen selbst-organisierten Gruppen und Projekten (nicht-kommerziell und „hierarchiefrei“) in denen ich gearbeitet habe, nur Konsens kennen gelernt. Das heisst, wir haben Konsens gemacht, zumindest nannten wir das so, aber so wie das so richtig geht, hat mir auch niemand erklärt. Als ich dann mal nachgelesen habe, fand ich viele nützliche Tipps, die uns einige Konflikte hätten ersparen können! Die will ich euch nicht vorenthalten.

Hier eine Kurze und lange Zusammenfassung wie Konsens funktioniert (Keine Soziokratie). Wenn richtig durchgeführt, ist Konsens dem Konsent tatsächlich sehr ähnlich, dauert jedoch meißtens erheblich länger und die Methode bietet wenig bis keine Hilfestellung um Konflikte zu lösen.
Wenn es ein Veto gibt, dann kann die Entscheidung nicht getroffen werden und in der Praxis gibt es dann meistens eher gruppendynamisch fragwürdige Versuche das Veto aufzulösen oder die Person, welche das Veto hervorgebracht hat, zu Überzeugen ihre Meinung zu ändern. Dadurch entsteht eine Ungleichheit in der Gruppe. Wer das Veto hat, hat in dem Moment die Macht und die Gruppe muss sich unterordnen. Falls es zum Beispiel andere unausgesprochene oder unbewusste Konflikte gibt, die vielleicht dazu führen, das eine Person ein Veto bringt, kann man garnicht sachlich Diskutieren und das Veto ausräumen. Wenn die Person sich weigert und auf dem Veto beharrt, kann die Entscheidung nicht getroffen werden.
Das ist nur eine andere Form der Autokratie, in der eine Person alle Macht hat, wie in einer Diktatur. Nur wenn es ein Veto gibt natürlich, ansonsten kann Konsens auch ganz gut laufen, so lange alle einer Meinung sind, gibt es natürlich auch kein Problem. Aber dann wird oft eben auch nur über Meinungen diskutiert, und die können und dürfen ja eigentlich unterschiedlich sein und haben eigentlich oft nix mit der Sache zu tun.
Ob es ein Veto gibt oder nicht – aus meiner langjährigen Praxiserfahrung in vielen verschiedenen Kontexten heraus dauert es sehr lange eine Entscheidung im Konsens zu treffen. So lange, das ich besonders weil ich für die Zeit und anstrengden Diskussionen nicht bezahlt oder sonst übermässig belohnt wurde, irgendwann die Lust verloren habe. Trotz meines idealistischen Engagements und meiner Begeisterung für soziale Prozesse.
Mittlerweile haben die Vertreter der Konsens Methode, wie zum Beispiel Starhawk ihre Erklärungen angepasst und soziokratische Funktionsweisen eingebaut, da sie in der Praxis eben mehr Hilfestellung geben und effektiver sind. Das sozial-Unternehmen Premium Cola benutzt Konsens auf eine scheinbar gut funktionierende Art und Weise, da sie eine gelebte Feedback Kommunikationskultur praktizieren und Einwände auch nachdem eine Entscheidung getroffen wurden hervorgebracht werden können. Das geht allerdings schon sehr stark Richtung soziokratischem Konsent.

Gleichwertigkeit vs. Effektivität

Gleichwertigkeit vs. Effektivität

Konsent ist effektiver

Konsent ist wie schon in der „klassischen“ Soziokratie auch der wichtigste Baustein von Soziokratie 3.0.
Konsent ist der Kleber, der alle Methoden und Prinzipien in S3 zusammen hält und die Mitglieder einer Organisation. Es ist also eigentlich viel mehr als nur eine Methode zur Entscheidungsfindung: Eine andere innere Haltung und ein Zustand.
Es bedeutet, dass nicht die Mehrheit entscheidet, sondern das beste verfügbare Argument. Und das gilt eben so lange, bis es ein besseres Argument gibt. Wir sind also so lange im Konsent, bis jemand einen schwerwiegenden Einwand hervorbringt, was gegen den zu entscheidenden Vorschlag spricht. Das heisst Entscheidungen können sehr schnell getroffen werden, denn ein Einwand ist kein Veto und es gibt viele Möglichkeiten einen Einwand in den Vorschlag einzubauen. Entscheidungen können also höchstens besser werden oder aus einem schwerwiegendem Grund eben doch nicht getroffen werden und das ist dann gut so.
Ein gut vorbereiteter Vorschlag ist schon super, wenn nichts dagegen spricht. Wenn gut nachvollziehbare Argumente in einem Vorschlag enthalten sind und alle verstehen was zu entscheiden ist, kann die Entscheidung meist sehr schnell getroffen werden.

Einwände können alle Personen vorbringen, die von der Entscheidung, also dem Vorschlag betroffen sind.  Wir wollen den Einwand wissen, denn es ist, falls der Einwand begründet und nachvollziehbar ist, ein guter Grund warum der Vorschlag so nicht stehen bleiben sollte. Eine Möglichkeit der Verbesserung also und kein Prozess blockierendes Veto, was für Ungleichheit sorgt. Für Einwände sind alle sehr dankbar, denn Einwände sind nichts Schlechtes, sondern ein Geschenk eines Individuums für die Gemeinschaft.
Und jetzt kommt das Allerbeste: Konsent gilt immer solange es keine Einwände gibt. Das heißt Einwände können auch nachdem die Entscheidung getroffen wurde, von jedem jederzeit hervorgebracht werden. Manche Dinge finden wir eben erst durch ausprobieren heraus und Bedenken sind keine Einwände und wollen erstmal in der Praxis bewiesen werden, sonst verpassen wir eine Chance das etwas funktionierendes aufgrund von Ängsten nicht gemacht wird. Bedenken sind keine Einwände und werden von der Moderation als solche Unterschieden. Erst nachdem die Entscheidung getroffen wurde, fragen wir nochmal nach ob es Bedenken gibt, die unbedingt gehört werden wollen. Dann werden sie auch im Protokoll vermerkt und bei der nächsten Evaluation der Entscheidung wird geschaut ob diese sich bewahrheitet haben.

Nachdem ich den Konsent durch die Soziokratie kennen lernen durfte, gingen mir so einige Lichter auf. Besonders wir Deutschen neigen einfach dazu die perfekte Entscheidung für die nächsten hundert Jahre treffen zu wollen. Das ist nicht nur anstrengend und lähmend und kann das Gruppengefüge strapazieren, sondern es kommt auch nichtmal unbedingt die beste Entscheidung dabei raus, denn: Gut genug für jetzt reicht um den nächsten Schritt zu machen und durch Feedback und empirisches Testen die Entscheidung zu verbessern! Wir können nicht alles wissen und Bedenken sind keine Einwände, da wir uns erst auf das Experiment einlassen müssen, sonst entgeht uns vielleicht eine gute Chance für etwas aus der Realität zu lernen. Es ist effektiver eine Entscheidung eben so gut zu treffen wie es gerade geht und dann mit der Zeit zu verbessern als ewig zu diskutieren. Das ist ein agiler Ansatz, genauso wie beim Design Thinking erstmal Prototypen von Produkten beim Kunden getestet werden, bis sie auf den Markt gebracht werden.

Konsent macht Organisationen, ihre Mitglieder und vor allem das Management agiler und entspannter, denn alles lässt sich ändern und verbessern, jeder Zeit.

Ist die Entscheidung gut genug für jetzt und sicher genug um es auszuprobieren?

Kann ich damit bis zur nächsten Evaluation leben?

Ihr seht, diese Tatsache schafft eine andere innere Haltung, mit der Entscheidungen wesentlich schneller und besser getroffen werden können. Die Teilschritte der Konsentmethode haben alle ihren Sinn und auch ihre Reihenfolge ist wichtig. Es gibt sogar ein paar Tricks und Abkürzungen, wenn alle Teilnehmer mit der Methode gut vertraut sind, die verrate ich Euch aber erst, wenn ich sehe, das Ihr die Methode beherrscht, sonst kann einiges schief gehen 😉
Das Anwenden der Methode allein führt dazu, das sich die Teilnehmer mit der Zeit entspannen und in den Prozess und die Anderen vertrauen, gleichzeitig aber ihrer Verantwortung bewusst werden den Mund aufzumachen wenn ihnen etwas auffällt, was ein Einwand sein könnte, oder zu Fragen wenn sie etwas nicht verstehen.
Diese innere Haltung vermittele ich unter anderem durch Körperübungen, Kollaborationsspiele und vor allem durch direktes Erleben der Methode in meinen Workshops.

Die kollektive Führung mit Konsent führt zu einem anderen Bewusstsein, denn konsequent müssten alle, die im Konsent eine Entscheidung treffen auch die Gewinne und Verluste tragen, die diese Entscheidung mit sich bringt. Dafür gibt es dann andere Patterns aus der Soziokratie 3.0 wie zum Beispiel transparente Gehälter mit denen sich Gewinn- und Verlustbeteiligungsmodelle ausarbeiten lassen. Aber das kommt meißtens erst nach einiger Zeit und das ganze ist ein längerer Prozess den man mit Konsent als einem ersten Schritt anfangen sollte, um dann als Gruppe mit der Methode zu wachsen.

Und hier der Konsent Prozess aus der Soziokratie 3.0 grafisch dargestellt:

3 thoughts on “Konsens und Konsent

  • herzlichen Dank für die Unterscheidung der beiden Begriffe „Konsens“ und „Konsent“! Als ein Anhänger des sogenannten „Systemischen Konsensierens“ nach Erich Visotschnig, siehe auch https://sk-prinzip.de/, möchte ich die Frage in den Raum stellen, ob es immer um eine Entscheidung „für etwas“ gehen muss. Klar, am Ende möchte die Gruppe wissen, was gemacht wird und idealerweise im Konsent – wie hier beschrieben.

    Das Systemische Konsensieren fokussiert auf die Widerstände, die konkrete Vorschläge bei Teilnehmern der Gruppe hervorrufen. Jetzt begreife ich das Systemische Konsensieren eher als eine Moderation als eine Entscheidung und sehe in den Widerständen Potentiale für die Verbesserung von Vorschlägen. Also ergeht an jeden Widerstand die Einladung, eine Alternative zum gemachten Vorschlag zu formulieren und anschließend zu testen, ob die Alternative näher an das heranrückt, was hier als Konsent beschrieben wird.

    Es ist möglicherweise tatsächlich dieses Merkmal deutscher Kultur in absoluten Kategorien zu denken. Mit meinem Kommentar möchte ich vor allem dem Gedanken widersprechen, Konsens sei, „wenn alle dafür sind“. Aber vielleicht meinen wir dasselbe und einige Menschen haben für die transitorische Qualität einer Entscheidung – also die zeitliche Befristung einer Festlegung bis zum Eintreffen eines bestimmten Ereignisses -den Begriff „konsent“ gewählt?

    Ich freue mich über Austausch!!!

    Herzliche Grüße von Robert

    • Hallo Robert,
      wenn ich von Konsens rede, dann meine ich klassischen Konsens mit ausschliesslich Veto.
      Das systemische Konsensieren ist mit seiner Widerstandsabfrage wesentlich näher drann am soziokratischen Konsent als als an klassischem Konsens mit Veto.
      Man könnte es daher vielleicht eher „systemisches Konsentieren“ nennen, aber das klingt noch sperriger 🙂

      Zur Abgrenzung von SK zu Konsent: Bei SK entscheidet der geringste Widerstand, bei Konsent das Argument.
      Der geringste Widerstand ist nicht unbedingt die beste Lösung, sondern auch ein Abbild der sozialen Dynamik und damit auch wieder anfällig für kollektive Dummheit.
      Ich finde die Reaktionsrunde im Konsent und die kreativen Methoden Einwände in die Vorschläge einzubauen sind ein wesentlicher Unterschied, die kollektive Intelligenz und einen Gruppenprozess im Entscheidungsprozess selbst ermöglicht, nicht nur in der Vorschlagserarbeitung. Ausserdem ist die innere Haltung die mit Konsent gefördert wird nochmal etwas anders: können Einwände nicht qualifiziert werden, dann bedeutet das im Zweifelsfall mit Bauchschmerzen und Widerständen sonst ein Veto bleiben würden den Einwand zurück zu nehmen und trotzdem mit der Entscheidung zu leben, solange sich die Gruppe das Experiment leisten kann. Auch hier ist systemisches Konsensieren näher am Konsent als am Konsens, aber durch die vorgeschaltete Reaktionsrunde ist der Prozess der Einwandabfrage im Konsent wesentlich reibungsfreier. Der Treiber hilft bei der Qualifizierung von Einwänden und der Lösungsfindung ungemein und ist ein weiteres Werkzeug, welches die Entscheidungen auf nachvollziebare Argumente stützt. Im SK gibt es etwas ähnliches wenn Widerstände in Wünsche umgewandelt werden. Das ist im Prinzip eine Einwandsqualifizierung mit Treiber-identifizierung bei S3. Das gute an Treibern ist, man kann damit weiter arbeiten und mit anderen Aktionen, Entscheidungen oder Strukturen wie Rollen, Kreisen oder Hilfsorganisationen befriedigen. Alles etwas modularer und weitreichender, S3 ist eben weit mehr als nur ein Werkzeug zur effektiven Entscheidungsfindung.

      Konsent ist nich zeitlich Befristet und festgelegt, das ist der zentrale Unterschied. Wir treffen keine Entscheidung für die Ewigkeit, sondern nur in diesem Moment. Konsent ist kein Prozess, sondern ein Zustand, der sich verändern kann. Das heisst wenn ich einen Grund finde warum ich nicht mehr im Konsent mit einer Entscheidung bin, dann sollte ich meinen Einwand testen und wenn er qualifiziert wurde, der Vorschlag nochmal angepasst werden. Auch wenn das nicht passiert, sollten Entscheidungen regelmässig evaluiert werden, damit im Konsent getroffene Entscheidungen nicht befristet und festgelegt werden.

      Ich hoffe ich konnte damit noch mehr Klarheit in die Unterscheidungen bringen!?
      Herzliche Grüße,
      Arne

    • Hallo,

      vielen Dank für tiefsinniges Durchleuchten von Konsens. Ich bin angeregt, mich damit zu beschäftigen und folgendes zu überlegen:

      Konsens unterstreicht
      (1) meine passiv unterstützende Rolle in einer Sache: „Ja, gut, mach, was Du willst“ ,
      (2) meine Zustimmung: „Das sehe ich auch so, das solltest Du so machen“
      (3) oder auch meine Begeisterung: „Prima, das beeindruckt mich, das solltest Du unbedingt machen“. Hier werde ich Teil des Prozesses, möchte motivieren, anspornen. Konsens hat über die Begeisterung also auch eine Möglichkeit als aktiver Begleiter in die Sache mit einzugehen.

      Konsent macht uns darauf aufmerksam, dass wir einen Schritt weiter gehen müssen, um in einen gemeinschaftlichen Prozess einzutreten. Die SK-Darstellungen, dass ich ausschließlich über dargelegte Widerstände in dem Prozess mitgestalten kann, sind vielleicht nicht ganz vollständig? Die hier abgebildeten Moderationshilfen zeigen, dass in der Soziokratie über weitere Ideen, Fragen, Umgestalten etc. erst einmal der positive Zugang zum Teilnehmer gesucht wird?

      Das Gelingen einer Sache braucht nicht unbedingt Konsent oder kann auch unangebracht sein. Es bedarf offensichtlich einiges Geschick, darin gute Entscheidungen zu treffen.

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